Das Rahmenabkommen – Ein zu grosser Eingriff in die Souveränität der Schweiz

Das Rahmenabkommen – «ein zu grosser Eingriff in die Souveränität der Schweiz»

«Das grösste Problem ist die dynamische Weiterentwicklung»

Interview mit Nationalrat Walter Müller

Zeitgeschehen im Fokus: Wie beurteilen Sie das Rahmenabkommen mit der EU?

Nationalrat Walter Müller So wie das Rahmenabkommen heute ausgehandelt ist, kann ich diesem nicht zustimmen. Das ist ein zu grosser Eingriff in die Souveränität der Schweiz.

In welchen Punkten wird das deutlich? Das grösste Problem ist die dynamische Weiterentwicklung. Das heisst, in gewissen Fragen sind wir nicht mehr souverän, was soviel bedeutet, dass wir nicht mehr souverän entscheiden können.

Wie sieht das konkret aus? Die Bereiche, die im Rahmenabkommen geregelt werden, sind die fünf bestehenden Marktzugangsabkommen. Dazu gehört das Landverkehrsabkommen, das Landwirtschaftsabkommen, das Luftverkehrsabkommen, das Abkommen über technische Handelshemmnisse, die Personenfreizügigkeit und alle künftigen Marktzugangsabkommen. Hier ist die Regelung so, wenn die EU eine Weiterentwicklung macht, neue Gesetze erlässt und der Schweiz das notifiziert, können wir im Rahmen des demokratischen Prozesses sagen, wir übernehmen das oder auch nicht. Vielleicht lassen sich noch ein paar Optimierungen durchführen, aber letztlich müssen wir es übernehmen. Das Problem sind wir ein Stück weit selbst. Das sieht man an der neuen EU Waffenrichtlinie im Zusammenhang mit Schengen.

Inwiefern? Wir sind EU-freundlicher als manche Mitgliedsländer. Wenn ein Mitgliedstaat etwas nicht übernehmen will, dann hat die EU keine wirklich harten Massnahmen, um das Mitgliedsland zu zwingen – oder wendet sie zumindest nicht an. Bei uns ist es anders. Die EU kann Gegenmassnahmen ergreifen, die zwar verhältnismässig sein müssen, aber bei uns wird das immer dazu führen, dass wir aus Respekt vor drohenden Gegenmassnahmen uns zu einem Ja durchringen.

Was hat diese Strategie für Folgen? Das führt doch dazu, dass im Abstimmungskampf immer so argumentiert wird: Passt auf, wenn ihr nein sagt, dann wird es Gegenmassnahmen geben.

Was kann die EU tatsächlich für Massnahmen ergreifen? Sie können die Teilnahme am Forschungs- und Innovationsprogramm aussetzen oder nicht mehr erneuern. Ein weiteres Beispiel ist die Nichtgewährung der Börsenäquivalenz. Die EU wird immer geeignete Massnahmen finden, um uns zu piesacken. Wenn die EU mit der Schweiz ungnädig umgeht, ist es auch ein Zeichen an die anderen Mitgliedsländer.

Wie beurteilen Sie die ganze Diskussion um die Schiedsgerichtsbarkeit. Ist es nicht der EuGH, der am Ende entscheidet? Der EuGH wird niemals in irgendeiner Form eine institutionelle Lösung akzeptieren, die die Rechte des EuGH in Frage stellt. Dort, wo der EuGH zuständig ist, wo er das Recht auslegt, ist das natürlich bindend. Ein Gericht wird sich selbst nicht in Frage stellen. Ich bin ursprünglich ein Befürworter der Schiedsgerichtslösung gewesen, inzwischen ist es klar, dass es diese Unabhängigkeit, die wir uns erhoffen, nicht bringen wird.

Die ganze rechtliche Auseinandersetzung ist aber meiner Meinung nach nicht so bedeutend wie die dynamische Weiterentwicklung, bei der wir laufend EU-Recht übernehmen. Ich denke, dass das die Souveränität der Schweiz nachhaltig verändern wird.

Wie sehen Sie einen Weg für die Schweiz? Der bilaterale Weg ist für uns wichtig und soll konsolidiert werden. In der EU haben sich 28 Staaten zusammengeschlossen und haben für sich einen gemeinsamen Markt geschaffen. Derjenige, der nicht dabei ist, ist schlechter gestellt, allein aus dem Grund, dass die anderen sich gegenseitig begünstigen. Deshalb müssen wir zu diesem Markt Zugang haben. Allerdings darf der Preis dafür unsere Institutionen nicht in Frage stellen.

Sind vom Rahmenabkommen noch weitere Abkommen betroffen? Das Stromabkommen, das schon weitgehend verhandelt ist, würde auch darunter fallen. Ebenso will die EU auch das Freihandelsabkommen von 1972 modernisieren. Somit greift das Rahmenabkommen in sehr weite Bereiche ein. Ich könnte mir auch noch vorstellen, dass es mit einem modernisierten Freihandelsabkommen schwieriger werden dürfte, mit anderen Ländern Freihandelsabkommen abzuschliessen, sei das alleine oder im Rahmen der EFTA. Bei möglichen Verhandlungen muss das unbedingt beachtet werden.

Nach dem, was Sie jetzt angedeutet haben, sieht es so aus, dass man noch gar nicht genau weiss, wie sich das in Zukunft entwickelt. Ja, das ist genau einer der entscheidenden Punkte. Dürfen wir als souveräner Staat in solch eine Black-Box eintreten, in der wir als Land die Zukunft in weiten Teilen nicht mehr souverän gestalten können und damit einen entscheidenden Pfeiler des Erfolgsmodells Schweiz untergraben? Sowohl privat als auch als Unternehmer würde ich keinen Vertrag unterschreiben, der meine Entscheidungsfähigkeit in Zukunft einschränken würde.

Was könnte man dagegen unternehmen? Es müsste zu einer konstruktiven Gesprächskultur zwischen der Schweiz und der EU kommen. Wenn Weiterentwicklungen eines Vertrags anstehen, müssen wir nein sagen können, ohne der allgegenwärtigen Drohkulisse seitens der EU. Sonst werden Volksabstimmungen zu Alibiübungen. Das würde unsere Demokratie nachhaltig verändern.

Das wäre aber keine Demokratieförderung … nein, nicht in diesem Sinne, sondern im Sinne des Demokratieabbaus. Ich bin für den bilateralen Weg. Wir brauchen den geordneten Marktzugang. Ich will aber ein Abkommen auf Augenhöhe, im gegenseitigen Interesse und Respekt vor unseren Institutionen.

Wie sollte man mit dieser Situation umgehen? Wenn man nicht im Stande ist, wirklich abzuschätzen, was die Folgen sind, dann bin ich nicht bereit, ein Abkommen zu unterstützen, bei dem ich nicht souverän entscheiden kann. Die Auswirkungen könnte man erst ermessen, wenn die Botschaft des Bundesrates vorliegen würde. Aber alle Vor und Nachteile und alle positiven und negativen Konsequenzen müssen auf den Tisch. Auch muss man offen und ehrlich die Bereiche bezeichnen, deren Konsequenzen man nicht kennt.

Aber dann müsste das Ergebnis offen bleiben. Aber so, wie der Bundesrat argumentiert, möchte er das Rahmenabkommen. Der Bundesrat möchte eine Lösung. Und wenn er wirklich den Eindruck gehabt hätte, das Rahmenabkommen sei in allen Bereichen gut und unbestritten, dann meinte ich, hätte der Bundesrat entschieden.

Dann braucht es Nachverhandlungen?

Ja!

Aber, was ist das für ein Verhältnis, wenn der Vertragspartner drohen kann?

Das ist ein ungesundes Verhältnis, ohne gegenseitigen Respekt und schadet dem Vertrauen. Ein institutionalisiertes einseitiges Piesacken hat in Staatsverträgen keinen Platz. Das sogenannte dynamische Verfahren wird unter diesen Bedingungen dann schnell zum Automatismus. Das darf nicht sein.

Herr Nationalrat Müller, herzlichen

Dank für das Gespräch.

 

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